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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - „Ein solcher Systemwechsel ist für uns alle neu“
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
„Ein solcher Systemwechsel ist für uns alle neu“
Für die kommunale Dreier-Allianz in den Stadtwerken SH ist die Umstellung auf ein gemeinsames ERP-System eine große Herausforderung. Von Kunden und aus Unternehmenskreisen kommt Kritik.
 
Schlechte Erreichbarkeit, hohe Arbeitsrückstände, verärgerte Kunden, frustrierte
Mitarbeiter − die Stadtwerke SH haben in den zurückliegenden Wochen viel Unmut über sich ergehen lassen müssen. Ende Juli befasste sich der Aufsichtsrat des
Gemeinschaftsunternehmens der Stadtwerke Eckernförde, Rendsburg und Schleswig in einer Sondersitzung mit den Vorwürfen. E&M sprach mit Bernd Reichelt, der seit Mai 2023 Alleingeschäftsführer der Allianz ist.

E&M: Herr Reichelt, die Stadtwerke SH und namentlich ihr Geschäftsführer sind in der Öffentlichkeit stark in die Kritik geraten. Zu Unrecht?

Reichelt: Wo es um Energieverträge, Abrechnungen und Abschläge geht, stehen wir derzeit vor großen Herausforderungen − wir befinden uns mitten in einem Systemwechsel. Wir haben die Kunden im Vorfeld zwar informiert, aber offenbar nicht gut genug. Auch die Mitarbeitenden sind an der einen oder anderen Stelle bei der Transformation nicht genug mitgenommen worden. Ein solcher Systemwechsel ist für uns alle neu.

E&M: Was macht den Systemwechsel so schwierig?

Reichelt: Wir überführen drei verschiedene ERP-Systeme in unserer Stadtwerkeallianz in ein viertes, neues. Software, Datenbasis, Strukturen − die Ausgangssituationen in Rendsburg, Eckernförde und Schleswig sind jeweils verschieden. In Schleswig etwa gibt es noch ein Ein-Mandanten-Modell anstelle eines Zwei-Mandanten-Modells. Selbst für unseren Dienstleister IVU ist es ein Novum, dass drei Stadtwerke quasi zeitgleich auf ein gemeinsames System migrieren.

E&M: Warum mussten Kunden, wie zu lesen war, wochenlang auf einen Rückruf warten oder erhielten gar keinen?

Reichelt: Bei einem Systemwechsel wird zunächst das alte System abgeschaltet. Dann vergehen vier bis fünf Wochen, bis das neue IT-System hochgefahren wird. In dieser Zeit sind keine Abrechnungen möglich, der Kundenverkehr ist unterbrochen. Währenddessen gibt es auch keine Geldflüsse, man muss aufpassen, dass das Unternehmen liquide bleibt. Und nach den vier bis fünf Wochen gibt es noch viel Nacharbeit mit den Daten, das muss alles rechtssicher sein. Die Datenpflege, die Einarbeitung in das neue System, die in der Zwischenzeit aufgelaufenen Kundenwünsche – das schafft für die Mitarbeitenden eine sehr hohe Belastung.

E&M: So hoch, dass sich Frust in einer anonymen E-Mail an Sie und einen Bereichsleiter entladen hat, die auch an die Lokalpresse ging.

Reichelt: Das Schreiben ist deutlich harmloser als von der Lokalpresse dargestellt. Aber es hat Unruhe geschürt. Wir haben wirklich gute Führungskräfte, es gibt den Betriebsrat, man kann dem Aufsichtsratsvorsitzenden schreiben − an all denen vorbei anonym an die Presse zu gehen, deute ich als Störfeuer von Menschen, die sich in der neuen Organisationsstruktur noch nicht sehen oder den Weg nicht mitgehen wollen. Das macht mich betroffen.

E&M: Wann wird der Kundenverkehr der Stadtwerke SH wieder routinemäßig laufen?

Reichelt: Im Herbst 2024 haben wir in Eckernförde auf das neue ERP-System umgestellt. Derzeit migrieren wir die Daten in Rendsburg, zum Jahresende starten damit die Stadtwerke Schleswig. Was die Daten- und Systemvorbereitung betrifft, lernen wir aus den nicht erkannten Herausforderungen. Damit Prozesse, Kundenservice, Erreichbarkeit, Fallbearbeitung so schnell wie möglich wieder eine Form kriegen, so dass die Kunden zufrieden sind, erhöhen wir die Kapazitäten in diesem Bereich mit neuen Mitarbeitern, Zeitarbeitskräften oder Dienstleistern. Aber das muss natürlich bezahlbar bleiben. Der Aufsichtsrat hat auf seiner Sondersitzung klargemacht, dass er hinter der Systemumstellung steht.

Modell erhält Individualität der Stadtwerke

E&M: Die Stadtwerke SH sind in ihrem sechsten Jahr. Warum jetzt die Umstellung der IT?

Reichelt: Um Prozesse und Strukturen gleich zu fahren, muss man sie harmonisieren, Basis für diese Harmonisierung ist eine einheitliche IT. Nur dann können wirklich Effizienzen gehoben werden. Das wusste man 2020, als sich Stadtwerke in Eckernförde, Rendsburg und Schleswig zum Gemeinschaftsunternehmen Stadtwerke SH zusammenschlossen. In den Folgejahren kam es zum Dissens zwischen den drei ehemaligen Geschäftsführern und in der Corona- und der Energiekrise hat die Allianz an Zeit verloren. Nicht vergessen darf man die neben der IT-Umstellung andere große Herausforderung für die Allianz: die kulturelle Transformation. Die Mitarbeitenden kommen aus drei Traditionshäusern mit unterschiedlicher Kultur. Es geht darum, dass sie ein Stück der alten DNA mitnehmen und bereit sind, in eine neue DNA zu investieren, in ein neues Miteinander.

E&M: Ende 2019, als die Kooperationsverträge unterschrieben wurden, hieß es, die drei Stadtwerke bleiben erhalten. Jetzt gibt es einen Geschäftsführer, einen Internetauftritt, eine ERP-Plattform, eine Kultur. Was bleibt übrig von den dreien?

Reichelt: Das Besondere an unserem Modell ist, dass es die Individualität des jeweiligen Stadtwerks erhält. Die Mitarbeitenden der Stadtwerke sind alle in die Stadtwerke SH gekommen. Die Assets sind bei den Kommunen geblieben, auch die Aufsichtsräte gibt es weiterhin. Die einzelnen Stadtwerke, ihre Gremien und Gesellschafter haben eine sehr hohe Entscheidungskompetenz. Sie machen ihre eigenen Wirtschafts- und Investitionspläne. Das wird dann alles gebündelt und muss übereinandergelegt werden, und das funktioniert auch. Unser Modell sieht auch vor, dass die Allianz wachsen kann, weitere kleine oder mittlere Stadtwerke können ankuppeln.

E&M: Das heißt keine Fusion, aber mehr als eine Kooperation?

Reichelt: Ja. Dieses Modell ist eine Alternative zu dem, was wir sonst auf dem Markt sehen: dass kleine Stadtwerke beim Regionalversorger aufgehen. Ich beobachte das gerade im Sauerland, da werden kleine Stadtwerke aufgegeben. Die Netze werden noch verpachtet, aber ansonsten geht alles an eine übergeordnete Einheit. Oder der andere häufige Fall: Ein großes Stadtwerk erbringt alle Dienstleistungen für das kleine Unternehmen, das schließlich selber nicht mehr handlungsfähig ist. Der Kooperationsdruck nimmt stark zu, kleinere Einheiten sind vor allem mit Regulierungsmanagement, aber auch anderen Aufgaben zusehends überfordert. Sie haben nicht die Frauen und Männer dafür, sie haben nicht die Strukturen und am Ende auch nicht das Geld. Da braucht es eine Bündelung und Konzentration der handelnden Personen. Das hat man hier geschaffen. Wenn die Entscheidung für die Allianz nicht damals getroffen worden wäre, müssten wir sie heute treffen.

E&M: Wie spiegelt sich die kulturelle Transformation in der Praxis wider?

Reichelt: Das Modell, für das ich stehe, ist ein Modell mit hoher Teilhabe, also ein hoch dezentraler Ansatz. Wir haben insgesamt 650 Mitarbeitende, darunter 450 Stadtwerker, die wir in die Stadtwerke SH überführt haben. Von 650 Mitarbeitenden haben 65 eine Führungsposition. Die Führungsspannen sind so gewählt, dass keiner mehr als zehn Kolleginnen und Kollegen in direkter Verantwortung hat. Früher gab es partriarchalisch-hierarchische Strukturen mit mehreren Führungsebenen. Seit einem Jahr haben wir eine Aufbauorganisation mit nur noch zwei Führungskreisen. Die Führungskreise sind Bereichsleitungen, wir haben insgesamt sieben Bereiche. Und in den Bereichen gibt es sogenannte Sachbereiche, die auch einen Leiter oder eine Leiterin haben. Wir arbeiten also heute ganz anders zusammen. Der Herausforderung der kulturellen Transformation ist die Hauptmotivation gewesen, warum ich vor zwei Jahren hierhergekommen bin.
 
 

Manfred Fischer
© 2025 Energie & Management GmbH
Montag, 08.09.2025, 08:45 Uhr

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